Im Gespräch mit Peter Bachmann, Fahrtechnikexperte und Experte für Fahrangst & Sturzbewältigung
Viele Motorradfahrer kennen das – brenzlige Situationen, die gerade noch gut ausgegangen sind. Oder sogar die Situation, in denen man doch gestürzt ist. Natürlich verändern solche Situationen das eigene Gefühl am Motorrad und das Vertrauen in sich und sein Können.
Gernot vom Team I love my Moped hat mit Peter Bachmann, PB-Fahrtechnik, über dieses Thema gesprochen. Er ist auch Mentaltrainer und psychosozialer Coach und vereint damit Fahrtechniktraining mit Fahrangstbewältigung.
Das Gespräch wurde in einem Video-Call aufgezeichnet und in diesem Blogbeitrag zusammengefasst. Ganz bewusst habe ich den Beitrag im Stil einer gemeinsamen Unterhaltung geschrieben und manche umgangssprachlich Formulierung beibehalten, um den Stil des Gesprächs und die Gedanken dazu nicht zu sehr zu verändern.
Viel Spaß beim Lesen!
Peter, zu Beginn meine Frage. Wie oft wirst du grundsätzlich zum Thema „Sturzangst“ kontaktiert.
Ist das ein Randthema oder eines, das oft vorkommt?
Na ja, es kommt schon relativ oft vor, dass ich dazu angesprochen werde. Ich habe zwar mehrere Fahrtechnik-Trainer an der Hand, aber dieses Thema betreue nur ich, da ich mich schon länger damit beschäftige und auch entsprechende Ausbildungen dazu gemacht habe.
Gezielt direkt nach einem Sturz sagen wenige „Ich bin gestürzt und brauch‘ Hilfe“, es kristallisiert sich erst im Training heraus, dass das ein Grund war, ein Fahr-Coaching zu buchen. Viele gestehen es sich selbst nicht ein oder wollen es aus Scham oder anderen Gründen nicht so direkt ansprechen. Es sind meistens Frauen, die es sich trauen zu sagen, weil Frauen einfach mit solchen Themen ganz anders umgehen und auch ehrlicher zu sich selbst sind. Männer sind grundsätzlich „als Rennfahrer geboren“ und gestehen sie einfach diese Dinge nicht so schnell ein. Ich habe schon mit vielen Männern darüber geredet, da höre ich oft „Da muss ich selber drüber“. Frauen sind da viel zugänglicher und sehen da wirklich ein Problem darin.
Ich frage schon im Erstgespräch am Telefon, was der Grund für den Wunsch eines Trainings ist. Da hört man schon ein bisschen raus: „Ich hab da und da Probleme“. Diese sind oft sehr ähnlich, circa 70% der Leute, die mich anrufen, nehmen auch das Wort „Angst“ in den Mund. Der Rest sagt dann eher „Respekt“ dazu.
Fast alle haben ein Erlebnis gehabt, dass sie in Wahrheit auch prägt. Sie wissen es vielleicht gar nicht so genau, dass es dieses spezielle Ereignis war. Es kann auch oft was anderes sein als ein Sturz. Sehr oft ist es auch einfache Dinge, die nicht einmal so großartig waren und nicht in einem brutalen Sturz geendet haben. Es kann auch einfach nur eine Situation sein, in der es vielleicht ziemlich eng war und es auch wirklich gefährlich geworden ist. Und das prägt sich schon ein.
Es geht jeder ein bisschen anders mit dem Thema um und keiner empfindet es gleich. Du hast zum Beispiel eine Situation gehabt, wo du die Spur nicht halten konntest und kommst in den Gegenverkehr. Das ist für versierte Motorradfahrer vielleicht okay nach dem Motto: „Es sollte mir nicht so oft passieren. Ich habe Glück gehabt, weil jetzt keiner gekommen ist.“
Ein anderer macht diese Gedanken viel zu sehr zum Thema. Da werden die eigenen Gedanken dann schon zum Problem, wo man sich dann in etwas reinsteigert, ohne dass es jemals zu einem Sturz gekommen ist.
Es hat auch viel damit zu tun, wie viel man Motorrad fährt, wie routiniert jemand ist. Der routinierte Motorradfahrer weiß: „Eigentlich könnte ich die Situation locker lösen. Aber ich habe jetzt gerade woanders hingeschaut, es war einfach ein Fehler. Ich weiß genau, was ich jetzt falsch gemacht habe.“
Und es gibt eben die Motorradfahrer, die zu sich sagen: „Ich wüsste jetzt nicht, was zu tun ist. Ich war 5 km/h zu schnell, hoffentlich passiert mir das nicht wieder, weil ich kann es nicht handeln“. Die sind dann bei mir gut aufgehoben, weil das sehr viel mit fahrtechnischem Können zu tun hat.
Das bringt mir auf den nächsten Gedanken. Ist es Fahrkönnen oder ist es die Blockade im Kopf, die mich verunsichert?
Sowohl als auch. Der Motorradfahrer, der im Kopf super funktioniert, aber die Skills nicht kann, naja, das wird auch schwierig werden. Es gibt auf der anderen Seite fast niemanden, der Motorradfahren nicht lernen kann, aber wenn der Kopf nicht mitspielt, wird es ganz, ganz schwierig. Weil sich einfach der Körper weigert, richtig zu handeln, wenn deine Gedanken nicht mitspielen. Und wenn du geplagt bist von zweifelnden Gedanken und dann die Skills nicht intensiv trainiert sind, dann wird es gefährlich.
Das ist generell so beim Motorradfahren. Du fährst so dahin und dann kommst du drauf „Wie bin ich eigentlich jetzt die letzten 10 Kilometer gefahren, habe ich jetzt irgendwo ein Radar übersehen oder sonst irgendwas?“ Wenn dir so eine Situation passiert, dann ist es schon längst an der Zeit, stehenzubleiben und zu sagen: „OK – aus, ich fahre jetzt nicht mehr, mache eine Pause“. Weil dann wird es gefährlich, wenn ich meine Gedanken nicht beim Motorradfahren habe.
Also das ist dann schon ein Ding, das wird gefährlich. Ich habe das oft gesehen in den letzten 30 Jahren. Ich habe schon Leute bei mir gehabt, die schwere Unfälle hatten und vorher unglaublich starke Motorradfahrer waren. Zum Beispiel erinnere ich mich an einen mittlerweile lieben Freund von mir. Er ist nach einem schweren Sturz im Koma gelegen, ist vorher extrem viel gefahren, es war seine größte Leidenschaft. Danach fuhr er, als wäre er noch nie auf einem Motorrad gesessen. Ich habe ihm einige Tipps und Kleinigkeiten mitgegeben, die ich beim Nachfahren bemerkt habe. Das hat so viel geholfen und es ist im Endeffekt dann Kopfsache, wieder in die Spur und zur eigenen Sicherheit zu finden.
Man muss aber „wissen wie“ und das Gespür haben, wie ich es angehe, jemandem zu helfen. Und das ist mir total wichtig. Ich konnte bis jetzt den Menschen immer helfen. Das ist meine größte Motivation, wenn der Teilnehmer dann heimgeht und sagt „Boah, ich fühle mich jetzt viel, viel wohler“. Das funktioniert auch und war auch der Grund, warum ich begonnen habe, das zu machen. Ich habe gemerkt, ich kann es und ich finde auch einen guten Zugang zu den Leuten.
Aber um mit dem Thema „Angst“ zu arbeiten, musst du in Österreich entweder Psychologe sein oder eine Ausbildung zum Lebens- und Sozialberater machen. Ich habe mir gedacht, das macht Sinn, ich investierte Zeit und Geld und mach es. Und ich muss auch sagen, mir hat diese Ausbildung auch sehr geholfen in gewissen Situationen. Man steht in Härtefällen an und braucht dann entsprechende Techniken, die helfen. Ich hab schon unterschiedliche Therapie-Techniken anwenden müssen, um wirklich das Problem herausfinden zu können. Meistens liegt es an Dingen, dich ich im hinten Nachfahren sehe und schaue mir dabei genau die Körpersprache an. Und das Problem liegt oft an der Bewegung an sich. Wenn du einen Sturz oder einen Unfall gehabt hast, hast du eine Blockade nicht nur im Kopf, sondern auch im Körper.
Die Blockade im Kopf wirkt sich also auf meine Bewegungen am Motorrad aus?
Das fängt bei Kleinigkeiten an. Ich bin zum Beispiel einer Kundin nachgefahren. Sie sagte zu mir, ich bin ihre letzte Chance. Alle haben ihr nach einem Sturz gesagt, sie solle das Motorrad verkaufen. Sie wollte eigentlich nicht mehr fahren, weil sie keine Freude mehr daran hatte. Ich habe mir gedacht, das gibt es nicht. Sie fährt grundsätzlich gut, aber fühlt sich nicht wohl. Und dann hilft es nicht, wenn ich aus 100 Metern Entfernung am Übungsplatz stehe und ich ihr zuschaue, wie sie im Kreis fährt. Sondern fahre ich ihr nach und schaue, was die Teilnehmerin mit der Schulter, was sie mit den Händen macht. Und es war dann nach einer halben Stunde klar. Ich habe ihr gesagt, etwas verkürzt für das Gespräch formuliert, sie soll sich in der Kurve nur auf die linke Hand konzentrieren. Oft ist es die Handhaltung am Lenker, das werden dir viele Fahrtechniktrainer bestätigen. Und dann musst du dich einfach ganz gezielt darauf konzentrieren, kleine Dinge zu verändern. Und dann funktioniert das auch.
Das heißt, konzentriere dich auf dich und feiere auch die kleinen Erfolge
Nach einem Sturz kommen oft kluge Kommentare aus dem Bekanntenkreis: „Ach, brauchst eh keine Angst haben“ oder „Verkauf halt das Moped“, „alle könnens halt nicht“. Häufig kommt noch dazu, dass in der Gruppe jemand sagt: „Du bist zu langsam, du kommst nicht nach.“ Ich sage immer: „Fährst du für die anderen oder für dich selbst? Willst du selber Spaß haben oder willst du einfach in der Gruppe ständig irgendwie nur mithalten können?“
Einfach mal dein eigenes Ding machen und Spaß in deinem eigenen Geschwindigkeitsbereich haben, das ist das Wichtigste. Ich könnte dir jetzt stundenlang erzählen, was alles möglich ist und was ich alles im Personal-Training mache. Und oft geht es auch ganz schnell. Ich setze bei Basics an und verändere diese Blockade dann Schritt für Schritt.
Ich habe Angst, dass mir mein Vorderrad wieder wegrutscht
Dieses Kopfkino haben viele, ohne es selbst erlebt zu haben. Welcher Motorradfahrer hat nicht die Sorge, dass das Vorderrad den Grip verliert und es mich hinlegt? Das ist aber kein Problem, dieser Gedanke schützt mich auch ein gutes Stück. Ich nenne diesen Gedanken dann eher „Respekt“ und nicht unbedingt „Angst“. Angst ist es eher dann, wenn es mich schon mal hingelegt hat und ich ständig das Gefühl habe, dass es mir wieder passiert. Und dann kann sich dieser Gedanke schon manifestieren und mich blockieren. Und diese Angst kann ich mit Coaching und Training mindern.
Beim Motorradfahren kann ich nicht alle Risiken ausschalten, das geht nicht. Ein gewisses Restrisiko besteht immer, aber ich kann mit meinen Skills, mit meiner Einstellung ganz viel Prozente gewinnen an Sicherheit. Und ja, in ganz seltenen Fällen muss ich auch hart und ehrlich sein, dass es besser ist, wenn man das Motorradfahren nach einem Sturz lässt. Aber das ist in meiner 30jährigen Laufbahn erst ganz, ganz selten passiert. Als Fahrtechniktrainer spürt man das und man sieht es, entwickelt ein gewisses Auge dafür.
Diese Trainings haben auch ganz viel mit Resilienz und Affirmation zu tun. Es ist die Konfrontation mit diesen Dingen, wie du dich als Motorradfahrer diesen Themen stellen kannst. Und wenn es wirklich eine große Blockade ist, kannst du das nur in einem 1:1 Coaching bearbeiten. Ich rede dann ganz viel und zeige Techniken, damit es der Teilnehmer auch spürt. Es ist ganz viel Fahrtechnik, damit ich selbst am Motorrad spüre was passiert, wenn ich gewisse Dinge anders mache.
Wir tasten uns dann Schritt für Schritt heran und das merken die Teilnehmer dann auch. Menschen verkrampfen nach einem Sturz total schnell in speziellen Situationen. Aber wie soll ich spüren, was mein Vorderrad macht, wenn ich mich am Lenker verkrampfe und zusammendrücke? So spüre ich die Bewegungen des Motorrads kaum. Locker lassen und spüren führen dazu, dass ich diese Angst verliere.
Ich hatte eine Dame, die konnte nach zwei Stürzen keine Rechtskehren mehr fahren. Sie hatte den Glaubenssatz in ihr: „Ich kann das einfach nicht“. In drei Tagen sind wird dann immer wieder eine Strecke gefahren, die auch scharfe Rechtskurven hatte, und über Funk habe ich ihr immer wieder Tipps gegeben. Sie war eine gute Motorradfahrerin. Ihr ist es beim Vorausfahren gar nicht bewusst aufgefallen, dass sie in einer Stunde unzählige Rechtskurven gut gemeistert hat.
Anschließend habe ich sie bewusst mit einer engen Rechtskehre konfrontiert und sie sagte „Nein, das fahre ich nicht, das kann ich nicht“. Ich antwortete ihr: „Wir sind diese Ecke jetzt 16x gefahren und du hast sie gemeistert, nur ist es dir nicht bewusst aufgefallen“. Denn sie hatte sich nicht auf die Rechtskurve fokussiert, sondern auf ein sauberes Fahren. Und das hat dann dazu geführt, dass sie Vertrauen in sich gewonnen hat.
Am Ende hat sie es geschafft, nachdem wir uns unzählige Male dieser Kurve gestellt haben, weil sie für sich einen „Schalter umgelegt“ hat. Ein solches Training braucht aber die Führung eines Profis. Denn natürlich habe ich bewusst beobachtet, ob sie grundsätzlich das Zeug dazu hat, diese Blockade zu meistern. Diese positiven Erfolgserlebnisse werden dann geankert und verändert das Verhalten nachhaltig.
Weshalb können Menschen das nicht für sich alleine lösen?
Ich selbst hatte bei Regen und 100 km/h einen Rutscher, der mich selbst lange beschäftigt hat. Und auch ich brauchte Kollegen, die mit mir daran gearbeitet haben. Es ist ein riesiger Unterschied mit einem Trainer zu arbeiten, der mich aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet als ich mich selbst. Ich habe ja keinen Spiegel beim Motorradfahren, um mich selbst beobachten zu können. Es ist ähnlich wie beim Fitness-Training, wo ein Trainer mir ganz genau sagt, wie ich meine Haltung geringfügig ändern muss, um einen besseren Trainingseffekt zu erzielen oder sogar Verletzungen vermeide.
Ich habe schon oft gehört: „Warum habe ich das Training nicht schon viel früher gemacht, dass hätte meine Motorradkarriere um vieles leichter gemacht“. Und ich garantiere, dass die Teilnehmer anders nach Hause fahren als sie gekommen sind.
Männer sind dabei ein wenig ungeduldiger, wollen die schnellen Erfolge. Frauen geben sich mehr Zeit, hören genauer zu und spüren besser hin. Allerdings trauen sich Frauen meist weniger zu. Im Endeffekt können alle lernen, sicher im Straßenverkehr zu fahren und die Angst wegzulassen.
Gibt es eine grundsätzliche Empfehlung vom Profi?
- Immer den Lenker locker in der Hand lassen
- Selbst gut reflektieren und beobachten, in welchen Momenten du zudrückst
- Wo geht dann mein Blick hin und wie bewege ich mich dann am Motorrad
Wenn ich weiß, in welchen Situationen ich mich verkrampfe, dann ist hier das Thema, wo ich ansetzen sollte, um mich genau hier zu „ent-krampfen“ und mich wieder wohler zu fühlen.
Das allerwichtigste nach einem Sturz ist es, es wieder gemütlich anzugehen und gut auf sich zu schauen, in welchen Situationen ich mich wohl fühle und in welchen nicht. Denn im Straßenverkehr sollten möglichst keine Fehler passieren. Daher ist es gut, nach einem Sturz wieder Aufsteigen, aber mit der nötigen Vorsicht und mit Ehrlichkeit zu sich selbst.
Und noch eine Einladung an alle Motorradfahrer und Motorradfahrerinnen, speziell nach heiklen Situationen: Es ist immer absolut ratsam und hilfreich, sich ein Fahrtechnik-Training zu gönnen. So geht es schneller und auch sicherer, wieder das eigene Vertrauen zurückzugewinnen.
Peter, vielen Dank für deine Zeit und das Gespräch!
Habt ihr Anregungen zu diesem Thema oder eigene Erfahrungen? Dann schreib mir gerne einen Kommentar oder stelle mir auch gerne Fragen. Ich freue mich auch auf dein Feedback zu diesem Beitrag.
In diesem Sinne,
die Linke zum Gruß
Gernot vom Team I love my moped
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